Durch Wände hindurchsehen

Eine neue Technik könnte klinische Studien für die beteiligten Patienten wesentlich vereinfachen – und bei diesen Tests neuer Medikamente noch bessere Erkenntnisse bringen.

Feb 14, 2018

Wie aus einem Science-Fiction-Film: ein Gerät, das durch Wände hindurchsehen kann. Jason Laramie erfuhr davon erstmals 2016 in einem Vortrag am „Massachusetts Institute of Technology“ (MIT), einem der Hightechzentren weltweit. Laramie, Mitarbeiter an den „Novartis Institutes for BioMedical Research“ (NIBR), war sprachlos. Alle anderen Zuhörer auch: „Ein Raunen ging durchs Publikum, als gezeigt wurde, wie das Gerät sogar den Herzschlag eines Menschen in einem anderen Raum drahtlos erkannt hat.“

Sofort kam dem Mann von Novartis eine Idee: Könnte man die Technik nicht in klinischen Studien nutzen, um fortlaufend den Gesundheitszustand von Patienten bei klinischen Studien zu ermitteln?

„Genesis Lab“ als Ideenschmiede

Laramie witterte ein Projekt für eine neue Initiative des NIBR. Sie heißt „Genesis Lab“. Das Programm stellt Geld zur Verfügung, um Ideen zu fördern, die für die Forschung und bei der Entwicklung von Medikamenten vielleicht einen Durchbruch bedeuten, die aber eben auch scheitern können. Die besten Ideen werden im Stil eines Start-up-Unternehmens unterstützt. Digitale Projekte wie das von Laramie sind besonders willkommen. „Wir wollen innovativen Mitarbeitern abseits ihrer eigentlichen Aufgabe Raum und Zeit geben, um ihre Ideen weiterzustricken“, erklärt Ian Hunt, der Leiter der Initiative.

Die neue Technik würde das Leben von Studienteilnehmern erheblich erleichtern, weil sie nicht mehr ständig in einer Klinik untersucht werden müssten. „Wir wollen herausfinden“, sagt Laramie, „ob das drahtlose Monitoring uns alle nötigen Daten über die Gesundheit der Patienten liefert, während diese einfach zu Hause bleiben.“

Ein Team um Computerspezialistin Dina Katabi hat das Gerät am MIT entwickelt. Laramie schlug ihr ein gemeinsames Projekt vor. Die Wissenschaftlerin war sofort angetan: „Es passt wunderbar zusammen.“

Radiowellen sind der Schlüssel

Die Technik selbst besteht aus einem Gerät, etwa so groß wie ein Internetrouter. Es sendet Radiowellen, die so ähnlich sind wie WLAN-Signale und die von allen möglichen Objekten reflektiert werden. Die entsprechenden Signale laufen in einen Computer ein. Der Rechner ermittelt, wo sich welche Objekte befinden, auch jenseits einer Wand. Er analysiert auch, ob sich die Objekte bewegen oder nicht.

Und: Der Computer nutzt Verfahren des sogenannten maschinellen Lernens, die Lernvorgängen im menschlichen Gehirn gleichen. Damit erkennt er auch Atem, Herzschlag sowie Bewegungs- und Schlafmuster einer Person. „Die drahtlosen Signale“, erklärt Katabi, „erreichen den menschlichen Körper, ohne ihn zu berühren.“

Daten aus dem Alltag der Patienten

Für Bewegungsanalysen beispielsweise müssen Patienten, die sich an klinischen Studien beteiligen, bislang regelmäßig zu ihrem Arzt kommen und einen Sechs-Minuten-Gehtest absolvieren. Das kann vor allem für Ältere großen Stress bedeuten. Außerdem ist die Aussagekraft eines solchen Tests begrenzt. Die drahtlose Technik könnte dagegen Daten zur Alltagsbewegung der Patienten liefern, selbstverständlich – und das ist ganz wichtig – nur dann, wenn der Patient dem Einsatz der Technologie zustimmt.

Aber erst einmal muss sich zeigen, ob das Projekt hält, was es verspricht. 2019 wird das Team um Jason Laramie mehr wissen – und ist jetzt schon gespannt.